Catherine Colonna

Bericht zu Palästinenserhilfswerk "Probleme mit Neutralität" beim UNRWA

Stand: 23.04.2024 03:05 Uhr

Eine UN-Untersuchungskommission sieht Verbesserungsbedarf mit Blick auf die Neutralität beim Palästinenserhilfswerk UNRWA. Gleichzeitig stellt sie klar: Israel bleibt Beweise für einen Teil seiner schweren Vorwürfe gegen das UNRWA schuldig.

Das UN-Hilfswerk für Palästinenser steht in der Kritik: Israel wirft dem UNRWA vor, von Hamas-Mitgliedern und Unterstützern unterwandert zu sein. Eine unabhängige Kommission untersuchte die Mechanismen und Verfahren der UN-Einrichtung, die die Einhaltung von Neutralitätsprinzipien garantieren sollen, und kommt nun zum Ergebnis: Es gibt noch Verbesserungsbedarf.

Zwar gebe es beim UNRWA eine Reihe "robuster" Mechanismen, aber auch nach wie vor Probleme mit der Neutralität, wie die mit der Untersuchung beauftragte ehemalige französische Außenministerin Catherine Colonna erklärte. Dazu gehörten politische Äußerungen von Mitarbeitern, Schulbücher mit problematischen Inhalten und Drohungen der sehr politischen Gewerkschaften gegen die Leitung der Organisation.

Israel muss Beweise liefern

Mit Blick auf die Vorwürfe, unter den UNRWA-Mitarbeitern seien viele Unterstützer von Terror-Organisationen, müsse Israel weitere Beweise liefern, urteilte die Kommission. Der Report hebt hervor, dass das UNRWA den israelischen Behörden regelmäßig Listen seiner Mitarbeiter zur Überprüfung vorgelegt habe. "Seit 2011 hat die israelische Regierung dem UNRWA keine Bedenken in Bezug auf UNRWA-Bedienstete mitgeteilt, die auf diesen Personallisten stehen."

Abschlussbericht sieht keine Beweise für Terrorverdacht bei UNRWA-Mitarbeitern

Torben Börgers, ARD Washington, tagesthemen, 22.04.2024 21:45 Uhr

Nach Angaben des israelischen Außenministeriums hätten die Personallisten bis März dieses Jahres keine palästinensischen Identifikationsnummern enthalten. Offenbar auf der Grundlage solcher Nummern hat Israel dem Bericht zufolge dann "öffentlich behauptet, dass eine beträchtliche Anzahl von UNRWA-Mitarbeitern Mitglieder terroristischer Organisationen sind". Israel habe jedoch noch keine Beweise dafür vorgelegt.

Israel reagiert mit scharfer Kritik

Israel reagierte am Abend mit scharfer Kritik auf den Untersuchungsbericht. Das "enorme Ausmaß der Unterwanderung" des Hilfswerks durch die islamistische Hamas werde darin nicht berücksichtigt, hieß es in einer Stellungnahme des israelischen Außenministeriums auf der Plattform X (vormals Twitter). Der Bericht "ignoriert die Schwere des Problems", hieß es. "So sieht ein Versuch aus, dem Problem auszuweichen und es nicht direkt anzugehen".

Empfehlungen der Kommission

Zur Stärkung der Neutralitätsprinzipien empfahl Colonna unter anderem eine genauere Überprüfung der Mitarbeiter, einen besseren Schutz der UNRWA-Einrichtungen vor missbräuchlicher militärischer Nutzung und eine Revision des gesamten Lehrmaterials an den von der Organisation betrieben Schulen. "Wir sind zuversichtlich, dass die Umsetzung dieser Empfehlungen dem UNRWA helfen wird, sein Mandat zu erfüllen", hieß es in dem Bericht,

Die humanitäre Hilfe, die das UNRWA im abgeriegelten Gazastreifen leistet, gilt als alternativlos für das Überleben der mehr als zwei Millionen Palästinenser in dem Küstengebiet. 

Kerstin Klein, ARD Washington, über den Bericht über das UN-Hilfswerk für Palästinenser

tagesthemen, 22.04.2024 21:45 Uhr

Prüferin: "Gemeinsame Verantwortung" für Unterstützung von UNRWA

Nach Vorlage ihres unabhängigen Expertenberichts warb Colonna für die internationale Unterstützung von UNRWA. "Die internationale Gemeinschaft muss UNRWA bei der Bewältigung seiner Herausforderungen zum Erreichen von Neutralität unterstützen. Es ist eine gemeinsame Verantwortung", sagte sie der Deutschen Presse-Agentur. 

Auf eine Frage zur ausstehenden Entscheidung der Bundesregierung, ob Deutschland seine Zahlungen an die Organisation wieder aufnimmt, antwortete Colonna nicht direkt. Es sei nun an jedem Land, den Bericht zu studieren und über die nächsten Schritte zu entscheiden. "Was ich gesehen habe, ist, dass die überwiegende Mehrheit der Geberstaaten die unverzichtbare und unersetzliche Rolle von UNRWA anerkennt, bestrebt ist, Lösungen zu finden und bei Bedarf Verbesserungen zu unterstützen", sagte die Französin weiter. Der Text enthalte 50 konkrete Empfehlungen für dieses Ziel.

Untersuchung zum 7. Oktober läuft noch

Die Untersuchungskommission wurde eingesetzt, nachdem Israel im Januar zwölf UNRWA-Mitarbeiter beschuldigt hatte, an den Hamas-Anschlägen vom 7. Oktober 2023 beteiligt gewesen zu sein. Diesem Vorwurf geht eine interne Untersuchung weiterhin nach, er war nicht Gegenstand des aktuellen Berichts.

Später behauptete Israel, dass ein großer Teil aller UNRWA-Mitarbeiter Mitglieder einer terroristischen Organisation wie der Hamas oder dem Islamischen Dschihad seien. Darauf ging der Bericht nun mit dem Verweis auf mangelnde Beweise ein.

Als Reaktion auf die Vorwürfe entließ das UNRWA mehrere Beschäftigte. In den darauffolgenden Wochen hatten zahlreiche Geberstaaten ihre finanzielle Hilfen pausiert oder ausgesetzt. Einige Länder, darunter die EU, Schweden, Kanada, Japan und Frankreich, haben mittlerweile die Hilfen wieder aufgenommen. Colonnas Team war beauftragt worden zu prüfen, ob das UNRWA "alles in seiner Macht Stehende tut, um Neutralität zu gewährleisten".

Herausfordernde Aufgabe für Mitarbeiter

Die Islamisten der Hamas haben 2007 die Macht im Gazastreifen an sich gerissen und regieren das Gebiet seither mit harter Hand. Sie kontrollieren auch die örtlichen Behörden - eine Herausforderung für die Helfer der UN. Tausende UNRWA-Mitarbeitende dort - vor allem palästinensische Flüchtlinge - haben aber die Verpflichtung, neutral zu bleiben. 

UN-Generalsekretär António Guterres dankte Colonna für ihre Arbeit. Er habe mit UNRWA-Chef Philippe Lazzarini vereinbart, dass das Hilfswerk mit Unterstützung des Generalsekretärs einen Aktionsplan zur Umsetzung der im Abschlussbericht enthaltenen Empfehlungen aufstellen wird.

Tim Aßmann, ARD Tel Aviv, tagesschau, 23.04.2024 06:30 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichteten die tagesthemen am 22. April 2024 um 21:45 Uhr.